Verlorenes Vertrauen zurückgewinnen — solidarisch durch die Krise. Leitlinien für den weiteren Umgang mit Corona, mit Rico Gebhardt und Stefan Hartmann

Der Vor­sitzende der Frak­tion DIE LINKE im Säch­sis­chen Land­tag, Rico Geb­hardt erk­lärt gemein­sam mit der gesund­heit­spoli­tis­chen Sprecherin und Vor­sitzen­den der säch­sis­chen LINKEN, Susanne Schaper, und Ste­fan Hart­mann, Vor­sitzen­der von DIE LINKE. Sach­sen, am Ende des zweit­en Jahres der Coro­na-Pan­demie:

20 Monate Pan­demie und der damit ver­bun­dene Krisen­modus haben viele Men­schen müde und mürbe gemacht. Sie fra­gen sich, wann die Coro­na-Pan­demie endlich vor­bei ist. Lei­der haben es die Staat­sregierung und die sie tra­gende Koali­tion bis heute nicht ver­standen, ein nachvol­lziehbares Krisen­man­age­ment aufzubauen. Die unein­heitliche Kom­mu­nika­tion des Min­is­ter­präsi­den­ten und der Staatsminister:innen trägt maßge­blich zum fortschre­i­t­en­den Ver­trauensver­lust in der Bevölkerung bei und stellt damit ein wesentlich­es Grund­prob­lem bei der Eindäm­mung des Coro­na-Virus dar. Fest ste­ht: Der viel beschworene „säch­sis­che Weg“ bei der Bewäl­ti­gung der Coro­na-Krise ist gescheit­ert und hat uns in eine Sack­gasse geführt.

Es ist gewiss nicht möglich, in ein­er solchen Krise alles richtig zu machen. So viel falsch zu machen, wie die säch­sis­che Lan­desregierung, ist aber lei­der auch ein neg­a­tives Kun­st­stück. Am Ende des zweit­en Jahres der Pan­demie haben wir daher Erwartun­gen und Forderun­gen an die Staat­sregierung for­muliert, in der Hoff­nung, dass diese aus Fehlern lernt:

1. Konkrete Maß­nah­men zum Gesund­heitss­chutz der Bevölkerung 

Den wirk­sam­sten Schutz für alle bietet eine möglichst hohe Immu­nisierungsquote der Gesamt­bevölkerung. Hierzu ist eine lan­desweite Impf­s­trate­gie nötig, die mit Impfzen­tren, Impf­stützpunk­ten, den Haus- und Betrieb­särzten und den mobilen Impfteams flächen­deck­end niedrigschwellige Imp­fange­bote unter­bre­it­et. Für impfende Ärzt:innen muss der bürokratis­che Aufwand für das Impfen auf ein Min­i­mum reduziert wer­den, um die Bere­itschaft zur Verabre­ichung der Schutz­imp­fung weit­er zu erhöhen, ohne dabei die Impf­sicher­heit zu gefährden.

Die mit viel Aufwand ein­gerichtete Impf-Infra­struk­tur muss solange vorge­hal­ten wer­den, bis endgültig fest­ste­ht, welche weit­eren Imp­fun­gen zukün­ftig erforder­lich sind, ins­beson­dere infolge neuer Virus­vari­anten. Die notwendi­gen finanziellen Mit­tel sind durch den Lan­des­ge­set­zge­ber auskömm­lich und unbürokratisch zur Ver­fü­gung zu stellen. Die Staat­sregierung muss nach­drück­lich gegenüber der Bun­desregierung darauf drän­gen, dass sach­sen­weit jed­erzeit aus­re­ichend Impf­stoff zur Ver­fü­gung ste­ht.

Sach­sen braucht eine ziel­gerichtete öffentlichkeitswirk­same Impfkam­pagne, die sich mit ein­er dif­feren­zierten Ansprache und einem ein­dringlichen Appell ziel­gerichtet an alle Milieus richtet: Wer sich impfen lässt, ver­hält sich seinen Mit­men­schen gegenüber sol­i­darisch. Beste­hende Äng­ste und Vor­be­halte gegen die Imp­fung müssen ernst genom­men und durch Aufk­lärung aus­geräumt wer­den. Es muss eine lan­de­seigene Beratungs-Hot­line für alle Fra­gen rund um das The­ma Imp­fung ein­gerichtet wer­den. Schon jet­zt muss ein Stufen­plan für mögliche weit­ere Imp­fun­gen erar­beit­et wer­den, der die beson­ders schutzbedürftige Bevölkerung klar pri­or­isiert und gle­ichzeit­ig Unsicher­heit­en und lange Schlangen vor den Impf­stellen ver­hin­dert. Men­schen müssen proak­tiv und ziel­gerichtet auf ihre Impfmöglichkeit hingewiesen wer­den. Die Ter­min­ver­gabe muss koor­diniert und für alle Alters­grup­pen passend gestal­tet wer­den.

2. Jede ein­schränk­ende Pan­demie-Maß­nahme braucht eine soziale Abfederung 

Wir unter­stützen jegliche Forderun­gen, die den Zweck haben, Gewer­be­treibende, Beschäftigte aus Kun­st und Kul­tur sowie Selb­ständi­ge, die auf Grund der verord­neten Coro­na-Maß­nah­men finanzielle Nachteile zu verze­ich­nen haben und hat­ten, angemessen zu entschädi­gen. Dafür müssen entsprechende Mit­tel aus den Coro­na-Fonds des Bun­des und dem Coro­na-Bewäl­ti­gungs­fonds Sach­sen bere­it­gestellt und unbürokratisch und schnell an die Betrof­fe­nen aus­gezahlt wer­den. Neben der wirtschaftlichen Absicherung sozialver­sicherungspflichtig Beschäftigter durch ein min­destens 90-prozentiges Kurzarbeit­ergeld muss auch der Ver­di­en­staus­fall von ger­ingfügig Beschäftigten („Mini­job“), deren Sit­u­a­tion durch die notwendi­gen Schließun­gen in Gas­tronomie und Kul­tur weit­er ver­schlim­mert wird, kom­pen­siert wer­den. Nur so kön­nen kurzfristige Kündi­gun­gen ver­hin­dert wer­den.

Allein­erziehende sind durch die Kita- und Schulschließun­gen in eine schwierige Sit­u­a­tion ger­at­en. Sie kön­nen die Arbeit und Betreu­ung nicht aufteilen, wie bei Zwei-Eltern Fam­i­lien. Deshalb sollte Allein­erziehen­den eine Freis­tel­lung bei Lohn­fortzahlung ermöglicht wer­den. Allein­erziehende, denen keine Freis­tel­lung ermöglicht wer­den kann, müssen die Not­fall­be­treu­ung für ihre Kinder unab­hängig von ihrem Beruf nutzen kön­nen.

3. Unter­stützung der Kranken­häuser und des Öffentlichen Gesund­heits­di­en­stes 

Die Kranken­häuser brauchen bei der Bewäl­ti­gung der immensen Her­aus­forderun­gen der Coro­na-Pan­demie jede mögliche organ­isatorische, per­son­elle, tech­nis­che und finanzielle Unter­stützung durch die Staat­sregierung. Es muss garantiert wer­den, dass auch weit­er­hin medi­zinis­ches und Ver­wal­tungsper­son­al der Bun­deswehr einge­set­zt wer­den kann. Die Finanzierung der Kranken­häuser und des Öffentlichen Gesund­heits­di­en­stes muss im Lan­deshaushalt ver­lässlich und nach­haltig ver­ankert wer­den.

Zur Behand­lung von Long-Covid sind die Kapaz­itäten in Reha-Ein­rich­tun­gen auszubauen, denn hohe Infek­tion­szahlen wer­den auch die Zahl der Long-Covid Erkrank­ten ansteigen lassen. Der Öffentliche Gesund­heits­di­enst in Sach­sen muss schnell­stens auf allen Ebe­nen zu ein­er mod­er­nen und leis­tungs­fähi­gen Säule gesund­heitlich­er Ver­sorgung entwick­elt und aus­ge­baut wer­den. An der Spitze muss ein Lan­des­ge­sund­heit­samt ein­gerichtet wer­den, in dem alle Kom­pe­ten­zen für den Gesund­heitss­chutz der Bevölkerung gebün­delt wer­den.

4. Schutz­maß­nah­men rechtzeit­ig und trans­par­ent disku­tieren

Der inzwis­chen etablierte ‚Runde Tisch Coro­na‘ des Min­is­ter­präsi­den­ten, zu dem Ärztevertreter:innen, Wohlfahrtsver­bände, Handw­erk­skam­mern, Gew­erkschaften, Jugend­vertre­tun­gen, Wirtschaftsver­bände, Schüler:innen- und Elternvertreter:innen, Kirchen, Fam­i­lien­ver­bände, Kom­munen und zivilge­sellschaftliche Organ­i­sa­tio­nen, etwa aus der Kul­tur und dem Sport, ein­ge­laden wer­den, muss fort­ge­set­zt wer­den. Vor jed­er notwendi­gen Anpas­sung der Coro­naschutz-Verord­nung, bzw. min­destens ein­mal im Quar­tal, sollte dieses bre­ite gesellschaftliche Spek­trum ange­hört wer­den.

Um allen Kindern und Jugendlichen den Zugang zu Betreu­ung, Erziehung und Bil­dung während der Coro­na-Pan­demie zu garantieren, soll unverzüglich eine ständi­ge „Task Force Bil­dung“ einge­set­zt wer­den. Träger der Schulen und Kindertage­sein­rich­tun­gen, der Schüler:innen- und Eltern­vertre­tun­gen, der Gew­erkschaften und Inter­essen­vertre­tun­gen der Lehrer:innen und Erzieher:innen sowie Expert:innen aus den Bere­ichen Sozi­olo­gie, Bil­dung, Erziehung, Kinder- und Jugend­hil­fe sowie Gesund­heit sollen gemein­sam mit der Staat­sregierung best­mögliche Lösun­gen zum Wohl der Kinder und Jugendlichen find­en.

Die von der Staat­sregierung geplanten Corona–Schutz-/Notverordnungen müssen im Säch­sis­chen Land­tag nicht nur „ange­hört“, son­dern dem Par­la­ment rechtzeit­ig zur Beratung zugeleit­et und von ihm beschlossen wer­den. Dazu muss endlich die von uns wieder geforderte geset­zliche Grund­lage geschaf­fen wer­den.

5. Rechtsstaat als Garant der wirk­samen Kon­trolle der Schutz-Maß­nah­men 

Es ist die Auf­gabe eines Rechtsstaates, die Ein­hal­tung der beschlosse­nen Maß­nah­men zu kon­trol­lieren. Ähn­lich wie im Straßen­verkehr, müssen punk­tuell oder anlass­be­zo­gen, Kon­trollen durchge­führt wer­den, um die Ein­hal­tung der gel­tenden 2G- oder 3G- Bes­tim­mungen sowie der AHA-Regeln im öffentlichen Raum, im ÖPNV und am Arbeit­splatz zu kon­trol­lieren. Dazu sind zwis­chen den Ord­nungs­be­hör­den, den Gesund­heit­sämtern, den Ämtern für Arbeitss­chutz und der säch­sis­chen Polizei durch Rechtsverord­nung des Lan­des die notwendi­gen Vere­in­barun­gen zu tre­f­fen.

6. Schutz der Grun­drechte und kon­sis­tente Regeln

Auch in Krisen­zeit­en müssen demokratis­che Mitwirkungsmöglichkeit­en erhal­ten wer­den. So wie wir die Rechte des Par­la­ments in der Pan­demie hochhal­ten, vertei­di­gen wir auch das Recht der Bürg­erin­nen und Bürg­er, sich zu ver­sam­meln. Etwaige Ein­schränkun­gen müssen sorgsam abge­wogen wer­den und sich mit dem Infek­tion­ss­chutz nachvol­lziehbar begrün­den lassen. Ver­trauen ist ein wertvolles Gut. Nichts schadet diesem Gut so sehr, wie starke Grun­drecht­se­in­griffe vorzunehmen und sie dann im exeku­tiv­en Han­deln durch den Innen­min­is­ter und die säch­sis­che Polizeiführung nicht durchzuset­zen.

Wir mah­nen nach wie vor an, dass nicht nur die Kom­mu­nika­tion der Lan­desregierung kon­sis­tent sein muss, son­dern auch die Regelun­gen zum Infek­tion­ss­chutz. Dabei sind Abwä­gun­gen dur­chaus zuläs­sig: Es ist zweifels­frei nachvol­lziehbar, Schulen anders zu behan­deln als Wet­tbüros. Es ist dage­gen kaum ver­mit­tel­bar, warum Mode-Bou­tiquen geöffnet, Reise­büros aber schließen müssen. Wir bleiben dabei: Die Maß­nah­men müssen ziel­gerichtet, kon­sis­tent und nachvol­lziehbar sein. Das ist bei weit­em nicht immer der Fall.

7. Lehren aus der Coro­na-Pan­demie ziehen: Starken Sozial­staat schaf­fen – Patente freigeben

Die Coro­na-Pan­demie hat deut­lich gemacht, dass der gesellschaftliche Zusam­men­halt und die Gewährleis­tung der gle­ich­w­er­ti­gen Teil­habe für alle Men­schen nur durch die Bere­it­stel­lung öffentlich­er Güter erre­icht wer­den kann. Die Absicherung exis­ten­zieller Grundbedürfnisse muss unter Berück­sich­ti­gung der unter­schiedlichen Leben­sum­stände sichergestellt wer­den.

Der Stel­len­wert von bezahlter und unbezahlter Für­sorgear­beit in allen rel­e­van­ten Bere­ichen muss durch geeignete Maß­nah­men auf Bun­de­sebene — aber auch durch den Freis­taat Sach­sen — nach­haltig erhöht wer­den. Alle Bere­iche der öffentlichen Daseinsvor­sorge und ihre sozialen und kri­tis­chen Infra­struk­turen müssen bedarf­s­gerecht und flächen­deck­end erhal­ten, weit­er aus­ge­baut und auskömm­lich finanziert wer­den, damit sie auch unter den beson­deren Belas­tun­gen ein­er Pan­demie zum Wohle aller Men­schen gewährleis­tet sind und aus­nahm­s­los funk­tion­ieren.

Die Coro­na-Pan­demie ist ein glob­ales Prob­lem und kann nur durch Sol­i­dar­ität und das Zusam­men­wirken aller Staat­en bewältigt wer­den. An der Freiga­be der Patente für die Impf­stoffe gegen das Coro­na-Virus führt deshalb kein Weg vor­bei. Auch ärmeren Län­dern müssen Wis­sen und Mit­tel bere­it­gestellt wer­den, um Impf­stoffe selb­st her­stellen zu kön­nen.

8. Investi­tions­bremse raus aus der Ver­fas­sung

Zur Bewäl­ti­gung der Coro­na-Krise wurde die Staat­sregierung vom Säch­sis­chen Land­tag ermächtigt, bis zu sechs Mil­liar­den Euro Kred­ite aufzunehmen. Die in der säch­sis­chen Ver­fas­sung ver­ankerte Tilgungs­frist muss zur Rück­zahlung dieser Kred­ite gestreckt wer­den, damit der Freis­taat hand­lungs­fähig bleibt. Andern­falls wird die Schulden­bremse zur Investi­tions­bremse und zukün­ftige Gen­er­a­tio­nen wer­den mit einem enor­men Sanierungs- und Investi­tion­sstau kon­fron­tiert.

Pressemit­teilung bei Links­frak­tion Sach­sen