Gemeinsame Erklärung: Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht, Deserteure und Kriegsdienstverweigerer brauchen Schutz — europaweit!

Gemein­same Erk­lärung von Janine Wissler (Parteivor­sitzende), Mar­tin Schird­e­wan (Parteivor­sitzen­der), Cor­nelia Ernst (Europaab­ge­ord­nete), Hei­di Reichin­nek (Vor­sitzende Bun­destags­gruppe), Sören Pell­mann (Vor­sitzen­der Bun­destags­gruppe), Clara Bünger (Bun­destagsab­ge­ord­nete), Susanne Schaper (Lan­desvor­sitzende Die Linke Sach­sen), Ste­fan Hart­mann (Lan­desvor­sitzen­der Die Linke Sach­sen), Juliane Nagel (Mit­glied des Säch­sis­chen Land­tags) und Mirko Schultze (Mit­glied des Säch­sis­chen Land­tags) anlässlich des zweit­en Jahrestags des Ein­marschs rus­sis­ch­er Trup­pen in die Ukraine

Dem Zwang zum Töten und der Angst vor dem Ster­ben zu ent­fliehen, gehört im Krieg zu den men­schlich­sten Regun­gen und mutig­sten Tat­en. Deser­teure und Kriegs­di­en­stver­weiger­er müssen in ihren Heimatlän­dern drastis­che Strafen erwarten, ihnen Schutz zu gewähren, ist ein Gebot des Human­is­mus.

Trotz ander­slau­t­en­der Ver­sprechun­gen gibt es zwei Jahre nach Beginn des Ukrainekriegs für Men­schen, die sich nicht an diesem Krieg beteili­gen wollen, nach wie vor keine legalen Fluchtwege nach Europa und kaum Aus­sicht auf Flüchtlingss­chutz in der EU.

Nach Schätzun­gen von Con­nec­tion e.V. sind seit Feb­ru­ar 2022 min­destens 250.000 Män­ner im wehr­di­en­st­fähi­gen Alter aus Rus­s­land geflo­hen, um sich der Rekru­tierung für den Krieg in der Ukraine zu entziehen. 22.000 Män­ner haben nach Ein­schätzun­gen der Organ­i­sa­tion Belarus ver­lassen, bei der Ukraine geht Con­nec­tion e.V. von rund 325.000 Män­nern aus, die sich der Rekru­tierung ent­zo­gen haben und in die EU geflo­hen sind. Die aus Rus­s­land und Belarus geflo­henen Men­schen hal­ten sich über­wiegend in Drittstaat­en auf, wo es für sie keine dauer­hafte Per­spek­tive gibt. Sie kön­nen man­gels human­itär­er Visa über­wiegend nicht nach Europa flücht­en.

Wenn es ihnen doch gelingt, die hochgerüsteten Gren­zen der EU zu über­winden und einen Asy­lantrag zu stellen, sind ihre Aus­sicht­en auf einen Schutzs­ta­tus ger­ing. In Deutsch­land hat das BAMF seit Beginn des Ukrainekriegs fast 4500 Asy­lanträge von rus­sis­chen Män­nern im wehr­di­en­st­fähi­gen Alter zwis­chen 18 und 45 Jahren reg­istri­ert. In rund 2500 Fällen hat die Behörde eine Entschei­dung getrof­fen, doch nur 159 Per­so­n­en wur­den als schutzbedürftig anerkan­nt. Gemessen an Hun­dert­tausenden, die aus Rus­s­land geflo­hen sind, ist das eine grotesk niedrige Zahl. In rund 1900 Fällen hat das BAMF keine inhaltliche Ablehnung aus­ge­sprochen, son­dern sich der Betr­e­f­fend­en entledigt, indem es die Zuständigkeit eines anderen EU-Staates fest­gestellt hat.

Bun­deskan­zler Olaf Scholz hat­te im Sep­tem­ber 2022 ver­sprochen, dass rus­sis­che Staats­bürg­er, die sich nicht an dem völk­er­rechtswidri­gen Krieg in der Ukraine beteili­gen wollen, in Deutsch­land Schutz bekom­men sollen. Das Ver­sprechen wurde gebrochen. In der Ukraine wurde das Recht auf Kriegs­di­en­stver­weigerung aus­ge­set­zt. Die sich dem Mil­itär­di­enst entziehen­den und Deser­teuren dro­hen mehrjährige Haft­strafen. Schätzun­gen zufolge sind unge­fähr 100.000 mil­itär­di­en­stpflichtige ukrainis­che Män­ner nach Deutsch­land gekom­men.

Momen­tan haben sie den vorüberge­hen­den Schutzs­ta­tus. Sollte ihnen nach Aus­laufen dieses Sta­tus bei Rück­kehr in die Ukraine Strafver­fol­gung dro­hen, müssen sie in Deutsch­land Schutz bekom­men.

Belarus beteiligt sich offiziell nicht mit der Entsendung von Sol­dat­en am Krieg in der Ukraine. Allerd­ings wurde in dem Land das Mil­itärge­setz ver­schärft. Alle männlichen Staats­bürg­er im Alter zwis­chen 18 und 58 Jahren wur­den aufge­fordert, sich bei den zuständi­gen Mil­itär­be­hör­den zu melden. Außer­dem wird der Mil­itär­di­enst in Belarus häu­fig als Repres­sion­sin­stru­ment gegen junge Aktivist*innen einge­set­zt. Die sich dem Mil­itär­di­enst entziehen­den und Deser­teure aus Belarus, die in Deutsch­land oder der EU Asyl beantra­gen, brauchen Schutz. Kriegs­di­en­stver­weigerung ist ein Men­schen­recht, das ger­ade in Zeit­en des Krieges vertei­digt wer­den muss. Die EU und die Bun­desregierung müssen Kriegs­di­en­stver­weiger­ern und Deser­teuren aus Rus­s­land, Belarus und der Ukraine die Ein­reise ermöglichen und sie durch das Asyl­recht schützen. Wir fordern:

  • Rus­sis­che Staats­bürg­er, die sich nicht am völk­er­rechtswidri­gen Krieg in der Ukraine beteili­gen wollen, müssen in der EU und Deutsch­land Schutz bekom­men. Die Bun­desregierung muss das BAMF anweisen, die Entschei­dung­sprax­is entsprechend abzuän­dern.
  • Ein Großteil der­er, die aus Angst vor der Ein­beru­fung zum Mil­itär aus Rus­s­land geflüchtet sind, befind­et sich in Drittstaat­en, häu­fig ohne Aus­sicht auf eine sichere Per­spek­tive. Für diese Men­schen müssen human­itäre Visa zur Ver­fü­gung gestellt wer­den, damit sie nach Deutsch­land bzw. in die EU ein­reisen kön­nen, um hier Asyl zu beantra­gen.
  • Auch außer­halb des Asylver­fahrens müssen Möglichkeit­en auf EU, Bun­des- und Lan­desebene für ein Bleiberecht für rus­sis­che Män­ner im wehr­di­en­st­fähi­gen Alter gestärkt wer­den. Das kann unter anderem die unbürokratis­che Erteilung und Ver­längerung von Aufen­thalt­stiteln zum Studi­um, zum Fam­i­li­en­nachzug oder zu Aus­bil­dung und Beschäf­ti­gung umfassen.
  • Die Europäis­che Kom­mis­sion und die Bun­desregierung müssen sich gegenüber der ukrainis­chen Regierung dafür ein­set­zen, dass sie das Recht auf Kriegs­di­en­stver­weigerung respek­tiert und Men­schen, die sich dem Mil­itär­di­enst entziehen, die Aus­reise ermöglicht.
  • Oppo­si­tionelle, Menschenrechtsverteidiger*innen, Deser­teure und Men­schen, die sich dem Wehr­di­enst entziehen, die aus Belarus fliehen müssen, brauchen Zugang zu human­itären Visa und Schutz in der EU und Deutsch­land.

Pressemit­teilung bei Links­frak­tion Sach­sen